Giacinto Facchetti Geb: 18.07.1942 in Treviglio (Italien) Gest: 04.09.2006
Giacinto Facchetti war der Pelé unter den Verteidigern. In technischer Hinsicht ist er als derjenige Mann, der die Außenverteidiger aus ihrem Käfig herausholte, in die Geschichte des Fussballs eingegangen. Paradoxerweise avancierte Facchetti ausgerechnet in der Blütezeit des Catenaccio unter Helenio Herrera zum ersten offensiven Verteidiger moderner Prägung.
Der in Treviglio, der zweitgrößten Gemeinde der Provinz Bergamo geborene Facchetti schwankte lange Zeit zwischen der Leichtathletik und dem Fussball. Bereits als 18-Jähriger war der 1,88 Meter große und 85 Kilogramm schwere junge Mann ein herausragender Athlet, der zudem ein besonderes Talent für den Sprint offenbarte. Damals träumte er davon, Olympiasieger über die 100 Meter zu werden. Doch die Anziehungskraft des Fussballs war stärker. Im Frühjahr 1960, als er für seinen Heimatverein US Trevigliese als Sturmspitze aktiv war, erfuhr sein Leben die entscheidende Wendung: Er wurde von Helenio Herrera entdeckt und von Inter Mailand verpflichtet.
Herrera sollte aus ihm den zentralen Spieler seines Catenaccios machen. Durch seine athletischen Voraussetzungen, seine für einen Akteur dieser Statur außergewöhnliche Schnelligkeit und Technik, war er für diese Rolle geradezu prädestiniert. Bis zur Ankunft von Facchetti beschränkte sich der Aktionsradius eines Verteidigers auf die eigene Spielfeldhälfte. Ein Abwehrspieler durfte die Mittellinie nur in Ausnahmesituationen überschreiten, und selbst dies ausdrücklich nur, um gegnerische Angriffe zu unterbinden. Damals war vom Verteidiger als erstem Angreifer, der Gegenstöße ausführt oder mit klugem Passspiel den eigenen Angriff einleitet, noch nicht die Rede.
Doch Herrera wurde damals nicht umsonst als "Magier" bezeichnet. Der Trainer der Nerazzurri erkannte sofort, welche Rolle Facchetti in seinem System spielen könnte. Ohne zu zögern schulte er den jungen Mann zum linken Verteidiger um und verschaffte ihm am 21. Mai 1961 im Olympiastadion gegen den AS Rom (2:0) sein Debüt in der ersten Mannschaft. Der 19-Jährige setzte sich schon bald als unumstrittener Stammspieler durch und erzielte bereits in seiner zweiten Partie in der Serie A gegen Neapel sein erstes Tor. Achtzehn Jahre lang sollte es das Markenzeichen Facchettis bleiben, sich in der Defensive elegant durchzusetzen, um direkt im Anschluss seine Sturmläufe zu starten.
Wenn die gegnerischen Verteidiger ihn zu stoppen versuchten, schickte er millimetergenaue Flanken ins Sturmzentrum, um Stürmer wie Mario Corso, Luis Suarez, Sandro Mazzola oder Jair zu bedienen. Konzentrierten sich seine Gegner indes auf das Abschirmen der Angreifer, zögerte er nicht, selbst sein Glück zu versuchen. Dadurch brachte er es auf die erstaunliche Bilanz von 59 Toren in 475 Einsätzen in der Serie A, darüber hinaus gelangen ihm zehn weitere Treffer im italienischen Pokal sowie sechs Tore im Europapokal. Insgesamt 75 Tore im Trikot von Inter Mailand, zehn davon allein in der Saison 1965/66 – für einen Verteidiger im Zeitalter des Catenaccios ist dies eine nahezu unglaubliche Quote.
Mit Inter Mailand gewann Facchetti 1964 gegen Real Madrid und 1965 gegen Benfica Lissabon zwei Mal in Folge den Europapokal der Landesmeister, vier Mal die italienische Meisterschaft und zwei Mal den Interkontinental-Pokal.
Nach seinem Debüt in der Nationalmannschaft am 27. März 1963 gegen die Türkei wurde Facchetti auch für Italien zur Symbolfigur. Mit 94 Länderspieleinsätzen zwischen 1963 und 1977 – davon 70 Mal als Kapitän – war er lange Zeit Rekordnationalspieler seines Landes. Abgelöst wurde er erst von einem weiteren Dinosaurier des italienischen Fussballs, Dino Zoff.
Bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 1966 in England schien er indes wie alle seine Teamkameraden von derselben Apathie betroffen zu sein, die zur sensationellen Niederlage gegen Korea DVR (0:1) führte und als "Spiel der Schande" in Erinnerung bleiben sollte. Doch zwei Jahre später führte der Kapitän die italienische Auswahl im eigenen Land zum Europameistertitel.
Doch der Moment, in dem er sich endgültig einen Platz in der Geschichte des Fussballs sicherte, war zweifellos das legendäre Halbfinale 1970 in Mexiko gegen die Bundesrepublik Deutschland. Gegen die Mannschaft um Franz Beckenbauer führte der Kapitän der Italiener sein Team, in dem Charakterköpfe wie Gianni Rivera, Sandro Mazzola oder Gigi Riva agierten, dank seiner Ruhe und Ernsthaftigkeit erfolgreich ins Finale. Da fiel es kaum ins Gewicht, dass er im Endspiel gegen den brasilianischen Ballzauberer Jairzinho erhebliche Mühe hatte: Er kehrte als Held nach Italien zurück.
Einige Jahre später konnte er es sich indes nicht verkneifen, den wankelmütigen Charakter der Tifosi zu beschreiben: "Nach der Niederlage gegen Nordkorea wollte man mich lebenslänglich zur Zwangsarbeit verdammen. Vier Jahre später nach dem Sieg gegen Deutschland musste die Polizei meine Frau beschützen, weil die Fans vor Ort sie auf einen Triumphmarsch entführen wollten. Trotz all seiner Nachteile gehört der Fussball zu den wenigen Dingen, die ziemlich viel über Italien aussagen", bemerkte er.
1974 bei seiner dritten Weltmeisterschaft in Deutschland ließ sich bereits erahnen, dass sich die beste Zeit dieses großen Verteidigers ihrem Ende zuneigte. Er beschloss, sich als Libero neu zu erfinden, und während drei weiterer Spielzeiten beschränkte er sich auf rein defensive Aufgaben und wahrte damit seinen Status. Am 16. November 1977 bestritt der 36-Jährige im Wembley-Stadion sein Abschiedsspiel mit der Nationalmannschaft, bevor er am 7. Mai 1978 im San-Siro-Stadion seine letzte Partie in der Serie A für Inter Mailand absolvierte. Anschließend wechselte er in die Führungsetage des Vereins, dem er zeit seines Lebens treu verbunden war.
Auch in dieser neuen Aufgabe erlangte er höchste Weihen. Am 13. November 2001 wurde er zum Vizepräsidenten von Inter Mailand gewählt, bevor er am 19. Januar 2004 zum 19. Präsidenten des Vereins ernannt wurde. Ein Amt, das er bis zu seinem Tod am 4. September 2006 nach plötzlicher Krankheit gewissenhaft ausfüllte.
So wurde aus dem Sohn eines Eisenbahnarbeiters im Laufe der Jahre ein Idol des italienischen Fussballs, ein Musterprofi und beispielhafter Bannerträger des schönsten Sports der Welt.
Position: Abwehr Verein: Inter Mailand (1960-78) Nationalmannschaft: 94 Länderspiele, 70 davon als Kapitän
Erfolge 3 WM-Teilnahmen (1966, 1970, 1974) 1x Vize-Weltmeister (1970) 1x Europameister (1968) 2x Sieger im Cup der Landesmeister (1964, 1965) 2x Weltpokalsieger (1964, 1965) 4x italienischer Meister (1963, 1965, 1966, 1971) 1x italienischer Pokalsieger (1978)